Herzklappen von Johnson & Johnson
(Roman) SUHRKAMP 2020
Alma und Friedrich bekommen ein Kind, das keinen Schmerz empfinden kann. In ständiger Sorge um ihren Jungen, ist es vor allem Alma, die ihn unaufhörlich auf körperliche Unversehrtheit kontrolliert. Jeden Abend tastet sie das Kind ab, um keine Blessur zu übersehen. Und nichts fürchtet die junge Mutter mehr als die unsichtbare Verletzung eines Organs, die ohne ein Zeichen bleibt. Halt findet Alma bei ihrer Großmutter, die jetzt, hochbetagt und bettlägerig und nach lebenslangem Schweigen, zu erzählen beginnt: vom Aufwachsen im Krieg, von Flucht, Hunger und der Kriegsgefangenschaft des Großvaters. Mit dem Kind auf dem Schoß, das keinen Schmerz kennt, sitzt Alma am Bett der Schwerkranken, die sich nichts mehr wünscht, als ihren Schmerz zu überwinden. Und in den Geschichten der Großmutter findet sie eine Erklärung für jene scheinbar grundlosen Gefühle der Schuld, der Ohnmacht und der Verlorenheit, die sie ihr Leben lang begleiten.
Wie wird ein Kind zum Menschen, zu einem mitfühlenden sozialen Wesen, wenn es die Verwundbarkeit nicht kennt? Wenn es nicht versteht, wie sehr etwas wehtun kann? In eindringlichen Bildern erzählt Valerie Fritsch von einem Trauma, das über die Generationen weiterwirkt, sie lotet die Verletzlichkeit des Menschen aus und fragt nach dem Wesen des Mitgefühls, das unser aller Leben bestimmt.
Winters Garten
(Roman) SUHRKAMP 2015
Ein Narr, wer nichts von Abschieden weiß
Winters Garten, so heißt die idyllische Kolonie jenseits der Stadt, in der alles üppig wächst und gedeiht, die Pflanzen wie die Tiere, in der die Alten abends geigend auf der Veranda sitzen, die Eltern ihre Säuglinge wiegen und die Hofhunde den Kindern das Blut von den aufgeschlagenen Knien lecken.
Winters Garten, das ist der Sehnsuchtsort, an den der Vogelzüchter Anton mit seiner Frau Frederike nach Jahren in der Stadt zurückkehrt, als alles in Bewegung gerät und sich wandelt: die Häuser und Straßenzüge verfallen, die wilden Tiere in die Vorgärten und Hinterhöfe eindringen und der Schlaf der Menschen schwer ist von Träumen, in denen das Leben, wie sie es bisher kannten, aufhört zu existieren.
Sprachmächtig und in sinnlichen Bildern erzählt die junge österreichische Autorin Valerie Fritsch von einer Welt aus den Fugen. Und von zwei Menschen, die sich unsterblich ineinander verlieben, als die Gegenwart nichts mehr verspricht und die Zukunft womöglich ein Traum bleiben muss.
»Was macht Valerie Fritsch im Rest ihres Lebens, wenn sie jetzt schon so gut ist.« Jürg Laederach
kinder der unschärferelation
(Gedichte) Leykam 2015
Sie sind eine Sprachfamilie: Valerie Fritsch und Gudrun Fritsch, Tochter und Mutter, haben nicht nur vor vielen Jahren gemeinsam die ersten Buchstaben gemalt und das Alphabet erlernt, aber auch eine Sprache, die die Welt heute organisch einspinnt. Der Gedichtband kinder der unschärferelation ist eine Sprachevolution über die Generationen, der Werde- und Fortgang der Muttersprache, die sich irgendwann in zwei ganz und gar eigene Töne teilt. Das muntere Weiterwachsen der Worte, mit denen man aufgewachsen ist. Abwechselnd präsentieren Valerie und Gudrun Fritsch einen sehr persönlichen Katalog über die Stille der Orchester- und Schützengräben, Mohn und Nostalgie, Großmütter und Salzmänner, Außerirdische und Dinosaurier, Schwarzpulver und Sternenstaub, über die Kunst des Verschwindens und den Wahnsinn des Abschieds.
wir sind marschiert
weit weg in den schützen- + orchestergräben
neben den verstummten granat- + grammophontrichtern
nur die königskerzen in den händen
wie fackeln in der nacht
Die Welt ist meine Innerei
(Reisebriefe und Bilder) SEPTIME 2012
Valerie Fritschs Sprache gleicht einem Strudel, der einen durch die Dichte seiner Wort- und Bildschöpfungen in einen Sog zieht, dem man sich nicht entziehen kann. Die Weltenbummlerin, Autorin, Fotografin und Künstlerin dreht den Globus für uns und landet stets punktgenau dort, wo es zartbitter weh tut: Schönheit und Elend, Leben und Tod, Liebe und Schmerz liegen oft nah beieinander. Mal surreal, teils grotesk, immer zärtlich und teils wehmütig, immer mittendrin und dennoch aus der Distanz betrachtet führen ihre Beschreibungen nackt und schonungslos die Diversität der Welt vor Augen.
Es ist das Schweigen der Sterbehäuser in Äthiopien und es sind die lachenden Bonbonsüchtigen in Madagaskar, die ängstlichen Frauen in Russland mit turmhohen Schuhen und verfallenen Träumen, Großstadtdichtungen und Provinzerzählungen, weite Länder und enge Gassen. Valerie Fritsch entfaltet in ihren Briefen und Fotografien ein Verzeichnis der Sehnsucht und einen Katalog der Orte und: einen Speicher aller uralten Dinge, denen man allerorts begegnen kann. Was bleibt, ist der wilde Hunger des einen nach dem anderen auf der Welt.
Kein Reiseführer, mehr als nur ein Bildband – die Welt ist ihre Innerei, ist eine Synthese aus Worten und wunderbaren Bildern, die tief berührt und eine Sicht auf die Dinge freilegt, die einen manches Mal erschauern lässt.
Ich reise dem Verschwinden hinterher und ich verschwinde aus der Stadt mit jedem Gedanken an die Zukunft. Über den Slums und den tausend Dächern von Dhaka hängen die Regenbogen wie Frauenlächeln und verblassen in Sonnenschein und Smog. Über den Gassen liegen die Dünste von Aas und vergorenem Obst, und die Wassermelonen sitzen wie fette Weiber in grünen Kleidern an den Straßenrändern. Die Hennabemalungen schuppen sich von der Haut, an den Fingerspitzen zerbrechen die Abdrücke. And Melcholy Baby dies from an overdose of time.
Die VerkörperungEN
(Roman) Leykam 2011
Paris. Die roten Lichter der Freudenhäuser und die weißen Lichter der Krankenhäuser leuchten in dieser Stadt, wenn es um die Krankheiten und die Genüsse geht, die Gewohnheiten ausbleiben, aber die Abschiede einsetzen. Die Protagonistin, früher Hure und heute Ärztin in einer Palliativstation, erzählt von den Körpern als Orte gegenläufigen Erlebens, an denen radikale Entgrenzung und Lust, Zerfall und Heilung gleichermaßen stattfinden. Doch die Wirklichkeit, sagen ihre Patienten, ist manchmal kein guter Ort, um sich zu begegnen.
In ihrem Debütroman Die VerkörperungEN entwirft Valerie Fritsch ein Kaleidoskop der letzten Dinge, in dem sich Bilder von sinnlicher Lebensfreude, von Krankheit und Tod irisierend und irritierend zu einem unauflöslichen Ganzen vermischen.
Die Nächte: sind Tonüberlappungen, das Ticken der Uhren und das Schlagen der Zeiger, das Geräusch der fallenden Bettdecken und Kühlschranktüren, und die stillen Gebete derer, die Angst haben vor dem nächsten Tag. Es regnet wie Klavierspiel und Du spielst Klavier wie der Regen. Ich bin es leid: an die Liebe zu denken.